Auf diesen Seiten stellen wir komplexe medizinische Zusammenhänge leicht verständlich dar – sachlich, ehrlich und auf Augenhöhe.
Wir beantworten häufige Fragen, räumen mit Mythen auf und erklären, welche wissenschaftlichen Entwicklungen Mut machen.
Dieser Faktencheck erklärt Schritt für Schritt:
Jetzt weiterlesen und mehr erfahren – oder direkt reinhören in unseren Podcast mit unserer Expertin Dr. Anna Wiesenhofer.
Unser Körper besteht aus über 30 Billionen Zellen, die jeweils unsere Erbinformation in Form von DNA enthalten. Diese DNA ist in Chromosomen organisiert, von denen der Mensch 46 besitzt – je 23 von der Mutter und vom Vater. Auf den Chromosomen befinden sich Tausende von Genen, die als Baupläne für Proteine dienen und zahlreiche Funktionen im Körper steuern. Jedes Gen liegt in der Regel in zwei Genkopien vor – eine von jedem Elternteil. Verschiedene Varianten eines Gens werden Allele genannt.
Täglich entstehen kleine Schäden an der DNA, die meist repariert werden. Bleibt jedoch eine Veränderung – eine sogenannte Mutation – bestehen, kann sie die Funktion eines Gens beeinträchtigen. Wenn eine solche Mutation in Eizellen oder Samenzellen (Keimzellen) auftritt, kann sie an die Nachkommen weitergegeben werden.
Genetische Erkrankungen entstehen durch genetische Mutationen, die die Erbinformation verändern. Wenn diese Veränderungen vererbt werden, spricht man von Erbkrankheiten. Eine besondere Form sind monogenetische Erkrankungen, bei denen nur ein einzelnes Gen betroffen ist – dies betrifft etwa 1 % aller Kinder. Je nachdem, ob eine Mutation nur eine oder beide Genkopien betrifft, können Erkrankungen dominant oder rezessiv vererbt werden. Eine mögliche Therapieform ist die Gentherapie, die darauf abzielt, ein funktionsfähiges Gen in die Zellen zu bringen, das die Rolle des defekten Gens übernehmen soll. Sie kann jedoch nur bei monogenetischen Erkrankungen eingesetzt werden.
Duchenne entsteht durch eine Mutation im DMD-Gen, das für die Herstellung des Dystrophin Proteins zuständig ist. Ohne dieses Protein verlieren die Muskeln ihre Stabilität und werden nach und nach schwächer. Das betrifft nicht nur die Arme und Beine, sondern irgendwann auch lebenswichtige Muskeln wie das Herz.
Bei neuromuskulären Erbkrankheiten wie Duchenne sollen Gentherapien helfen, die Muskelkraft zu erhalten. Das Ziel ist, ein verkürztes Dystrophin Protein, das sogenannte Mikro-Dystrophin, in den Muskelzellen herzustellen, da das gesamte DMD-Gen zur Herstellung des kompletten Dystrophins nicht in den Vektor (Transportmittel) passt. Das Mikro-Dystrophin Protein kann entscheidende Funktionen übernehmen und somit die Muskeln vor weiteren Schäden schützen. Bereits verlorenes Muskelgewebe kann jedoch nicht wiederhergestellt werden.
In klinischen Studien wurden Buben im Alter von vier bis sieben Jahren untersucht, damit diese länger aktiv bleiben und ihren Alltag besser bewältigen können.
Werden Gentherapien schon erfolgreich eingesetzt? Welche Chancen bieten sie, welche Risiken bergen sie, und wie sieht die Anwendung für Menschen mit Duchenne heute schon aus?
Wir haben bei der Neuropädiaterin Dr. Anna Wiesenhofer nachgefragt.
Jetzt das gesamte Interview anhören in der Podcast-Folge “Wir gen gemeinsam”
Bei einer erblich bedingten Muskelerkrankung wie Duchenne Muskeldystrophie fehlt ein wichtiges Protein namens Dystrophin, das die Muskelzellen stabilisiert. Die Gentherapie versucht, dieses Problem zu beheben – indem sie den Zellen eine neue Bauanleitung für ein Ersatzprotein liefert.
Diese Bauanleitung ist ein funktionsfähiges Gen, das von außen in die Muskelzellen eingebracht wird. Man nennt es ein Transgen. Damit das Gen in die Zelle gelangt, wird ein winziges, unschädliches und auf Muskelzellen gerichtetes Virus als Transportmittel verwendet – dieses Virus wird als Vektor bezeichnet.
Sobald das Transgen in der Muskelzelle angekommen ist, wird es nicht in das Erbgut (DNA) der Zelle eingebaut, sondern bleibt als unabhängiges DNA-Element im Zellkern – als ein sogenanntes episomales Transgen (Episom). Wichtig zu wissen: Die Gentherapie verändert das Erbgut nicht, sondern liefert der Zelle nur eine „Gebrauchsanleitung zur Selbsthilfe“.
Das Transgen enthält die Information für ein verkürztes, aber funktionstüchtiges Dystrophin Protein – das Mikro-Dystrophin. Damit die Zelle weiß, wann und wo sie diese Bauanleitung nutzen soll, braucht sie ein Startsignal – den sogenannten Promoter.
Ein muskelspezifischer Promoter wirkt dabei wie ein Schalter, der nur in Muskelzellen eingeschaltet wird. Er sorgt dafür, dass das Mikro-Dystrophin nur dort hergestellt wird, wo es gebraucht wird – in der Muskulatur. In anderen Zellen bleibt das Gen inaktiv.
Sobald das Mikro-Dystrophin Protein gebildet wurde, kann es die Funktion des fehlenden Dystrophin Proteins übernehmen, die Muskeln stabilisieren und weiteren Schäden vorbeugen.
Die Wirkung der Gentherapie ist auf funktionsfähige Muskelzellen angewiesen. In späteren Krankheitsstadien wird Muskelgewebe zunehmend durch fibrotisches Gewebe und Fett ersetzt – auch Bindegewebe genannt. Immer weniger Zielzellen stehen dann für die Therapie zur Verfügung. Deshalb ist der Zeitpunkt der Behandlung entscheidend, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen.
Innovative Gentherapien lassen hoffen, dass auch Erbkrankheiten direkt an der Wurzel statt nur an den Symptomen behandelt werden können.
Die Forschung geht weiter. Wissenschaftler: innen arbeiten daran, diese Therapie noch wirksamer und für mehr Betroffene verfügbar zu machen. Jeder Fortschritt bringt uns der Vision ein Stück näher und bringt uns dem Ziel näher, Betroffenen ein längeres und erfüllteres Leben zu ermöglichen.
Klinische Studien erfolgen in mehreren Phasen (I-IV), wobei jede Phase darauf ausgerichtet ist, spezifische Fragestellungen zu klären. Gleichzeitig werden umfassende Maßnahmen getroffen, um die Sicherheit der Teilnehmer:innen zu gewährleisten.
Bevor eine neue Therapie von den Aufsichtsbehörden als sicher und wirksam anerkannt wird, durchläuft sie in der Regel drei Phasen von klinischen Studien.
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